Samstag, 19. November 2011

Schwer verliebt statt schwerer Depressionen

Sat.1 hat es geschafft! Die mediale Heimat von Britt, Schmidt und Shit hat das Allheilmittel gegen die einsetzende Winterdepression gefunden, die derzeit durch griechenländische Eurokrise, neonazistische Terrorgefahr und deutsche Grundtraurigkeit noch stärker auszufallen droht. Mit der herz- und hüfterwärmenden Reality Soap Schwer verliebt hat der Sender aus dem malerischen Unterföhring die Quadratur des Kreises auf die Mattscheibe geschickt: Herz, Humor und Hirn.

Dass die Teilnehmer nur ersteres definitiv besitzen, die beiden letztgenannten Attribute jedoch nur eine Mischung aus Zufall, Naivität und Mangel sind, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Es sind auch nicht die Liebesuchenden, die diese drei Dinge haben, sondern der geneigte Zuschauer. Wem pocht nicht das Herz bis zum Hypothalamus, wenn offensichtlich geistig reichlich früh Abgebogene selbstgezeichnete Barbie-Pornos mit dem Zusatz präsentieren, dass man ja mal Bock drauf hätte, selber ordentlich durchgekachelt zu werden? Wessen Humorzentrum wird nicht geradezu zerlegt, wenn ein schnappatmender Mann mit Kniescheibe auf dem Kopf das Fellatio-Gedicht seiner Verehrerin als Grund für seine Ablehnung der besagten Dame nimmt, da für den gläubigen, partnersuchenden Herren Religion und Erotik im Zwist stehen? Und wer empfindet seinen eigenen IQ nicht gleich um mindestens 40 Punkte höher, wenn eine Regalservicekraft unter Einsatz ihres ganzen Könnens es schafft, einen nackten Tortenboden ohne Verzierung zu servieren?

Wer Schwer verliebt als menschenmissachtend und würdelos betrachtet, der vergisst, was das Volk will, nein, wonach es in diesen Zeiten voll schwindender Hoffnung lechzt: Panem et circenses. Sat.1 liefert uns das Brot, die Probanden dieses Experiments die Spiele. Wir nähren uns an der Degeneration, verfolgen den Balztanz einer Spezies, die viele kaum der ihrigen zurechnen würden. Vergessen die Zeiten, in denen jedes Problem unüberwindbar erschien, ganz fern sind für einige Minuten die Griechenländer, Braunhemdler und geldsaugenden Kapitalisten. Wir fühlen uns gut, weil Sat.1 uns zeigt, dass andere noch viel minderbemittelter sind.

Die Opferung einiger Weniger zur Steigerung des bundesdeutschen Selbstwertgefühls ist nur ein kleines Zugeständnis, um uns alle vor der großen Depression zu schützen. Und wenn einige aus unserer Mitte, egal wie schutzbedürftig sie auch sein mögen, dafür dem Spott und der Erniedrigung ausgesetzt werden müssen, dann muss das eben so sein. Wir sind schließlich eine Gemeinschaft, in der wir das Optimale für die Meisten herausholen wollen.

Dass Sat.1 nicht das Patent auf die volksbelustigende Liebessuche anmelden kann, ist ob der überspitzt hinterfotzigen Präsentation von „Schwer verliebt“ kein Makel. Aber Danksagungen an die Wegbereiter solcher Formate müssen trotzdem drin sein. Und da müssen wir natürlich einen Sprung rüber zum Konkurrenzsender RTL machen, der das Außenseiter-Baggern kultiviert hat. Bauer sucht Frau läuft seit nunmehr irgendwas Jahren und Menschen aus der werberelevanten Gruppe kleben paralysiert am Bildschirm, wenn Inka Bause in regelmäßigen Abständen auswendig gelernt vorträgt, welche Landwirte aus welchem Kuhkaff diesmal eine Braut suchen. Auch hier darf sich der Zuschauer an den skurrilen Zeitgenossen laben, die alliterativ vorgestellt werden. Der bumsfidele Bauer Bernhard, der präpubertäre Pferdewirt Peter, der einnässende Eselliebhaber Emil – sie alle haben ihren Platz bei Bauer sucht Frau gefunden: den des Hinterwäldlers, der uns fortschrittlichen Nicht-Landwirte prompt dazu animiert, den elektrischen Strom zu nutzen oder gleich einen neuen PC zu kaufen, denn wir sind ja keine Bauern, sondern gebildete Menschen, die sich von dem schmutzigen Gesocks aus dem TV abgrenzen müssen.

Da doppelt bekanntlich besser hält und die Sendezeit ja auch irgendwie gefüllt werden muss, hat RTL mit Schwiegertochter gesucht gleich noch ein, bis auf die Eingrenzung auf eine bestimmte Berufssparte, deckungsgleiches Format entwickelt. Von Handelsfachpackern, die statt sich kennen zu lernen gleich mit der Kinderproduktion anfangen, bis hin zum friesischen Wünschelrutengänger, der seine eigene Rute bisher nur zum Rolle machen gebraucht hat, ist alles vertreten, was den Durchschnittsbürger (und auch diejenigen darüber hinaus) vom gegenwärtigen Schrecken gekonnt ablenkt.

Da kann man nur jubeln, dass Sat.1 keine Grenzen kennt. Wo kämen wir nur hin, wenn genetisch weniger Begünstigte auf einmal nicht mehr zur Unterhaltung benutzt werden dürften? Unterschichtenfernsehen ist das nicht, sondern Unterschicht im Fernsehen, die allen als Anreiz dient, das Leben anzupacken – und wenn es nur deshalb ist, um nie in einer dieser Sendungen aufzutauchen.



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